Künstliche Intelligenz – wie schlau sind Maschinen heute?

Maschinen, die die Weltherrschaft übernehmen? Wie und wo künstliche Intelligenz tatsächlich derzeit angewendet wird und wo ihre Grenzen liegen.

Schon in den 80ern und 90ern haben wir uns mit Science-Fiction-Filmen wie «Terminator» oder «Matrix» die fantastischsten Szenarien mit künstlicher Intelligenz (KI) vorgestellt. KI ist heute längst Realität. Doch wie verhält es sich derzeit genau damit? Ich habe mit Christopher Ganz, Group Vice President für Service und Digital, Research & Development von ABB, über Theorie und Praxis, die Nutzung, den Einfluss und die Zukunft von Künstlicher Intelligenz gesprochen.

Christopher Ganz, Group Vice President für Service und Digital, Research & Development von ABB. © ABB

Christopher, künstliche Intelligenz klingt doch immer ein bisschen nach Science-Fiction-Filmen – was genau können wir heute darunter verstehen?

Künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit von Maschinen, Informationen aufzunehmen, in Form von Wissen zu speichern und anzuwenden, um Situationen zu beherrschen, die bei der Programmierung der Maschine nicht genau bekannt waren. Die Komplexität dieser beherrschbaren Situationen nimmt mit zunehmender Rechenkapazität der Computer zu. Damit ist eine Lösung, die vor 20 Jahren als ‚intelligent‘ bezeichnet wurde (z. B. Schachspiel, Buchstabenerkennung), ist heute eine selbstverständliche Standardfunktionalität.

Welche Vorteile bietet künstliche Intelligenz derzeit?

Die Systeme funktionieren sehr gut, um Daten auszuwerten oder eine Bilderkennung durchzuführen. Es können Effekte nachgebildet werden, die nicht erklärbar (z. B. das Kaufverhalten von Konsumenten) oder die zu schwierig für eine physikalische Modellierung sind (z. B. Alterungsprozesse von Materialien).

Wofür brauchen wir bei ABB denn künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz ist eines der Werkzeuge von vielen, die wir in der Industrie anwenden, um Probleme zu lösen. Deshalb sprechen wir vorzugsweise von «Industrieller künstlicher Intelligenz». Sie dient etwa der Mustererkennung in Messdaten, um frühzeitig problematische Entwicklungen zu erkennen.

Kannst du konkrete Beispiele in der Anwendung nennen?

Industrielle KI von ABB überwacht zum Beispiel die Kompressor-Lastverteilung für die Öl- und Gasindustrie und schlägt eine optimierte Lastverteilung zwischen den Maschinen vor. Durch den Einsatz von Deep-Learning-Techniken und Cloud-Tracking prognostiziert die KI von ABB auch die kurzfristige Solarstromleistung bei einer sich stetig verändernden Wolkendecke. Oder auch bei der Windproduktionsprognose: ABB setzt auch die KI-Lösungen von IBM Watson ein, um die für die Produktion erneuerbarer Energien relevanten Wettereinflüsse genauer vorherzusagen. Weitere Anwendungen gibt es bei ein- und zweiarmigen Robotern oder bei Kreuzfahrtschiffen. Bei letzterem dient KI dazu, den Kapitän beim Docken im Hafen zu unterstützen.

 

 

Welche Ziele verfolgt ABB mit künstlicher Intelligenz?

ABB sieht den Erfolg seiner ‚industriellen‘ KI im Bereich autonomer, industrieller Anlagen, die eine grössere Vielfalt von auftretenden Situationen behandeln können. In KI führend zu sein heisst, wettbewerbsfähiger zu sein. Wir hoffen daher mit Hilfe von KI einen Schritt vorwärts zu machen, auch in der Schweiz.

Wie wird die Arbeit mit künstlicher Intelligenz bei ABB in der Schweiz weiterentwickelt?

Das Schweizer Konzernforschungszentrum in Baden-Dättwil verfügt über ein hervorragendes Team von Forschern auf dem Gebiet. Diese haben sich in Forschungsprojekten mit unterschiedlichen KI-Anwendungen beschäftigt, die aber noch nicht auf dem Markt verfügbar sind.

Inwiefern gibt es Kooperationen mit Schweizer Universitäten und Startups?

KI ist eines der Themen, das stark von gut ausgebildeten Spezialisten vorwärts gebracht wird. Diese sind in der Schweiz vorhanden, und dies ist auch der Grund, warum sich viele Technologiefirmen hier angesiedelt haben. ABB hat traditionell gute Beziehungen zu den ETHs und zu den Fachhochschulen, mit denen die Forschung in intensivem Austausch steht. ABB Technology Ventures schaut sich kontinuierlich Startups auch in der Schweiz an, die sich mit dem Thema beschäftigen.

Was sind die derzeitigen Grenzen und Problematiken von künstlicher Intelligenz?

KI braucht grosse Mengen von Daten, um daraus die entsprechenden Modelle zu bilden. Oftmals sind diese Daten nicht in ausreichender Qualität vorhanden. Auch kann KI nur Effekte reproduzieren, die in den Daten erkennbar waren. Falls ein Bilderkennungssystem mit Bildern von Windrädern trainiert wurde, wird sie nie ein Schiff erkennen. Soweit, dass eine KI problematische Situationen wahrnehmen kann, sind wir ebenfalls noch nicht. Zudem können wir nicht nachvollziehen, warum genau ein KI-System eine bestimmte Schlussfolgerung getroffen und ob es in jeder Situation richtig reagiert hat. Da Sicherheit oft eine grosse Rolle spielt, ist ein Einsatz meist nicht ohne unterstützende Automatisierung möglich. An vielen Stellen ist die Fähigkeit des Menschen, eine Situation auszuwerten, auch unübertroffen. Deswegen sollte nicht alles der KI überlassen werden. Insgesamt ist es immer ein Zusammenspiel von KI, Menschen und Automatisierungslösungen.

Wie wird künstliche Intelligenz unseren Alltag in der Schweiz beeinflussen?

KI wird mehr in die Systeme integriert werden und unterschiedliche Funktionen übernehmen. Viele Systeme werden dadurch natürlicher mit Menschen interagieren können und Sprachbefehle verstehen und in Aktionen umsetzen. Soeben wurde auch in Lugano ein Versuch gestartet, den Verkehrsfluss mit KI zu verbessern. Da KI auf der Verfügbarkeit von grossen Datenmengen basiert, spielt Datenschutz ebenfalls eine sehr wichtige Rolle. Wichtig ist es, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und die Vor- und Nachteile zu kennen.

Ein Gedanke kommt doch immer wieder auf – wird die künstliche Intelligenz uns Menschen überholen?

Als die ersten Taschenrechner aufkamen, stand diese Frage auch schon im Raum. Maschinen können heute schon auf vielen Gebieten sehr viel mehr als Menschen, insbesondere wenn es um die Verarbeitung grosser Datenmengen geht. Wenn es jedoch darum geht, kreativ zu sein, komplexe Schlussfolgerungen zu ziehen, oder unbekannte Situationen mit ‚gesundem Menschenverstand‘ anzugehen, ist der Mensch immer noch unerreicht. Der Roboter, der sich seines ‚ichs‘ bewusst ist und menschenähnliches Verhalten zeigt, ist derweil mit den heutigen Technologien nicht erreichbar. Ich frage mich auch, ob wir uns dies in der Industrie tatsächlich zum Ziel nehmen sollten, oder uns darauf konzentrieren sollten, Systeme zu bauen, die etwas eingeschränktere Aufgaben dafür besser handhaben können.

Künstliche Intelligenz in der Industrie ist die Zukunft. © ABB

 

Über Dr. Christopher Ganz:
Christopher Ganz ist Group Vice President für Service und Digital Research & Development. Er ist verantwortlich für bereichsübergreifende Projekte im Bereich der Service- und Digitaltechnologien, einschliesslich Remote Services, Internet of Things (IoT) und Initiativen zur künstlichen Intelligenz (KI) sowie für die Verbesserung der Serviceaspekte in Forschung und Entwicklung. Christopher hat an der ETH Zürich mit dem Schwerpunkt Regelungstechnik promoviert und am selben Institut einen Diplomabschluss in Elektrotechnik erworben. Seine akademischen und beruflichen Qualifikationen haben ihn zu einem weltweit anerkannten Redner zu Themen der Digitaltechnik gemacht.

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Über den Autor

Greta Clasen

Für ABB als führendes, digitales Technologieunternehmen spannende Themen zu realisieren – diese Vorstellung setzte mich sofort unter Strom. Und doch musste ich bei Themen wie Trockentransformatoren im ersten Moment erst einmal schlucken. Mit mehr Wissen und Verständnis wurde mir jedoch klar, wie viel tatsächlich hinter der für mich erst einmal unbekannten Technik steckt und die Begeisterung kam automatisch. Ich freue mich, jeden Tag tiefer in die komplexesten Themen einzutauchen.
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